Überlegungen zur didaktischen Bedeutung des Lernorts Archiv und zur Zusammenarbeit zwischen Schule und Archiv
- Außerschulischen Lernorten kommt im Unterricht eine zunehmende didaktische Bedeutung zu, authentische Lernsituationen durch größere Komplexität und vielfältige Anforderungen bei gleichzeitiger Motivation durch den Wechsel des Lernorts die Schülerinnen und Schüler zu einem vernetzten Wissen führen können.
- Außerschulische Lernorte ermöglichen ganzheitliches und selbstständiges Lernen und damit den Erwerb von Schlüsselkompetenzen.
- Außerschulische Lernorte wie Archive, Museen, historische Ausstellungen und Gedenkstätten bieten Ansatzpunkte zum Aufzeigen historischer Sachverhalte, zum Nachfragen und zum eigenständigen Untersuchen. Hier wird den Schülerinnen und Schüler ein „Lernen vor Ort“, also ein ziel- und ergebnisorientiertes „Graben nach Erkenntnissen“, ein entdeckendes Lernen ermöglicht, verbunden mit schülerzentrierten und handlungsorientierten Arbeitsformen.
- Aus schulischer Sicht können kommunale Archive in zweierlei Hinsicht bedeutsam sein:
- zur Vermittlung von historischem Wissen im Bereich der lokalen oder regionalen Geschichte
- zur Einübung allgemeiner Fähigkeiten und methodischer Fertigkeiten z. B. in Bezug auf
- die Recherche historischer Quellen und Dokumente
- den Umgang mit historischen (Original-)Quellen
- die Nutzung von Findbüchern und sonstigen Hilfsmitteln
- die Transkription von historischen Quellen
- die quellenkritische Betrachtung von Archivalien
- Daraus lassen sich fünf Ziele eines Archivbesuchs ableiten:
- Die Schülerinnen und Schüler erweitern oder vertiefen ihr historisches Wissen.
- Die Schülerinnen und Schüler erlernen die Grundzüge der Archivnutzung.
- Die Schülerinnen und Schüler lernen die Bedeutung des Archivs für die schriftliche Überlieferung kennen.
- Die Schülerinnen und Schüler erkennen im Umgang mit Originalquellen, dass Geschichtsschreibung kein fertiges Produkt, sondern Ergebnis ständigen Suchens und Fragens ist.
- Die Schülerinnen und Schüler sollen im Archiv Vergangenheit unmittelbar erleben und spüren, indem sie nicht allein den Inhalt der originalen historischen Zeugnisse zur Kenntnis nehmen, sondern auch ihre ursprüngliche äußere Beschaffenheit (Schrift, Schreibstoff, Sprache etc.).
- Bei der Arbeit im Archiv sollten folgende Aspekte beachtet bzw. hervorgehoben werden:
- detektivisches Vorgehen i. S. des entdeckenden Lernens (z. B. bei der Entschlüsselung einer Schrift)
- exemplarische Beschränkung auf eine (auch) unter didaktischen Aspekten ausgewählte Zahl von Quellen (aus organisatorischen und zeitlichen Gründen)
- eine Ergebnisorientierung, d. h. die Sicherung und Kommunikation des Erarbeiteten durch „Produkte“ wie Ausstellung, Schülerzeitung, Ton-/Bildreprotage, Internetpräsentation etc.
- Bei der Zusammenarbeit zwischen Schule und Archiv sind folgende Stufen vorstellbar:
- Stufe 1: Erster Kontakt mit der Institution Archiv und erste Begegnung mit Originalquellen (im Mittelpunkt: Archivführung)
- Stufe 2: Einführung in die Arbeit mit Originalquellen, z. B. in Gruppenarbeit (im Mittelpunkt: angeleitete Quellensichtung und Auswertung)
- Stufe 3: Nutzung der Archiveinrichtungen mit zunehmender Selbstständigkeit (im Mittelpunkt: weitgehend autonome Auswertung der Quellen)
- Eine besondere Bedeutung kommt dem Archiv bei der Betreuung von Schülerinnen und Schüler im Zusammenhang mit der Erstellung von Facharbeiten, Jahresarbeiten oder Wettbewerbsarbeiten im Rahmen von Schülerwettbewerben zu.
- Lehrer/innen und Archivar/innen sollten arbeitsteilig zusammenarbeiten:
- Die Lehrkraft unterstützt die Schülerinnen und Schüler bei der Aufarbeitung und Umsetzung der im Archiv gewonnenen Erkenntnisse.
- Der/die Archivar/in hilft den Jugendlichen beim Umgang mit den Findmitteln, bei der Aufsuche von relevanten und repräsentativen Quellen und bei ihrer Entzifferung.
- Die Zusammenarbeit zwischen Schule und Archiv kann dazu beitragen, dass
- die Hemmschwelle zur Archivnutzung bei Jugendlichen sinkt und sie damit als Erwachsene ihr verbrieftes Recht zum Archivbesuch nutzen können.
- in der Öffentlichkeit deutlicher wahrgenommen wird, dass Archive auch einen Bildungsauftrag im Rahmen der Bewahrung unseres kulturellen Erbes haben.
- der Unterricht durch den Wechsel des Lernortes belebt und zusätzliche Erkenntnisse und Fähigkeiten vermittelt werden.
- propädeutisches Lernen in einem Teilbereich ermöglicht und unterstützt wird.
Hans Berkessel, RFB Geschichte Rheinhessen